Alte Freunde vs. Neue Feinde

“Dir ist schon klar, dass X nie wieder Geschäfte mit Dir machen wird.” sagte der junge Mann am Telefon, als er auf meine E-Mail Absage hin, festgestellt hatte, dass ich wirklich nicht zu überreden sei. Ich schluckte das Gefühl von Traurigkeit hinunter, dass in mir auf stieg, weil eine ganze Firma jetzt sauer auf mich sei. Er hatte an mein Ehrgefühl, meine Handschlag-Qualität und an meine Zukunft appelliert. Doch der Dienstvertrag mit einer anderen Firma war unterschrieben und es gab kein zurück. Ich wünschte ihm noch viel Glück bei der Suche nach einem Ersatz für mich. Firma X braucht mich nicht, will mich auch nie wieder brauchen.

Wenige Minuten zuvor hatte mein liebster ehemaliger Chef die Hand ausgestreckt und gesagt “Darf ich Dir JETZT gratulieren?”. Ich wollte noch die tatsächliche Unterschrift unter meinem neuen Dienstvertrag in Händen halten. “Ja” sagte ich, “jetzt darfst Du mir gratulieren.”

So schnell kann sich das Blatt wenden. Viele Tage hatte ich einer definitiven Antwort von Firma X geharrt, wurde hingehalten, es gäbe noch keine Zusage, noch keinen Vertrag, immer fehlte noch was. Dann kam ein Vertrag, aber ohne ein Kommentar war der Stundensatz wesentlich unter dem zuvor mündlich vereinbarten. Während ich mich darüber ärgerte, fragte ich nach, ob das ein Irrtum sei. Die Antwort war, leider nein, denn der Kunde würde nicht mehr zahlen wollen, ich solle doch mit dem selben Tarif wie vor einem Jahr zufrieden sein. Aber da begann mir klar zu werden, dass X mich mit aller Gewalt beim Kunden rein bekommen möchte und schreckte auch nicht vor psychologischer Kriegs-Führung zurück. Ach, was der Drobnik will, ist doch egal. Der wird schon nachgeben. Mit einem Freelancer kann man das schon machen.

Diese Kalkulation ging nicht auf, heute Vormittag kam der Anruf von einem alten Bekannten, der mir stets gewogen geblieben war: “Oliver, bitte unterschreibe nichts. Du musst unbedingt zu uns zum Mittagessen kommen. Die wollen Dich ganz dringend!”

Bei einem luxuriösen Essen wurde mir klar, welche geniale Chance ich da bekam. Internationale Firma, weltweites Entwicklungspotential, ich arbeite wieder mit einem ehemaligen Lieblings-Chef von mir zusammen, im ersten Bezirk ums Eck vom Holmes Place (dann kann ich wieder täglich trainieren gehen). Der Job ist praktisch für meine Skills maßgeschneidert. Ich nannte mein Wunsch-Gehalt. Ich bekomme es, ohne dass ich verhandeln musste. American Express für Spesen, Blackberry, Firmen-Handy.

“Brauchst Du Bedenkzeit?”
“Nein. Wenn wir uns einig werden, fange ich nächste Woche an.”

Als ich vom WC zurück kam, telefonierte der Ober-Chef mit der Frau von HR. Wenige Minuten später saßen wir in ihrem Zimmer und unterzeichneten den Dienstvertrag.  Ich war wie in Trance ob der Geschwindigkeit. Aber ich glaube es wird jedem schwindlig, wenn er von Erst-Gespräch bis Dienstvertrag nur 4 Stunden braucht.

Natürlich hatte ich Gewissensbisse, Firma X hatte große Hoffnungen in mich gesetzt. Ich wäre ihr Aushängeschild beim Kunden geworden. Der Fuß in der Türe, der den Weg zu weiteren Verträgen ebnet. Diese Hoffnungen musste ich enttäuschen und voller Egoismus eine Chance ergreifen, wie sie vielleicht nur ein oder zweimal im Leben vorbeikommt.

Dann wurde mir klar: das Ergreifen großer Chancen erfordert gelegentlich auch, dass Du Dir ein paar neue Feinde machst. Doch wenn es um mein berufliches Wohlergehen geht, dann muss soviel Egoismus sein. Irgendwann muss man aufhören es allen recht machen zu wollen.

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