Im Herzen ein Landei

Manche Menschen halten mich für den typischen Großstädter: arbeitet in der Stadt, wohnt in der Stadt, gehe ins Kino in der Stadt. Allerdings war das nicht immer so und obendrein schaut es nur so aus.

Ich kam im Sanatorium Hera zur Welt und bevor mein kleiner Bruder ankam, wohnten wir in 2 verschiedenen Wohnungen in Wien. Schon da prägten sich erste Landeindrücke ein, denn als es noch Verwandtschaft gab, verbrachten wir viele Mal Sommerzeit in unserem Landhaus in Gresten.

Nach 6 Jahren Kindheit in Wien kauften meine Eltern unser Haus in Klosterneuburg, wo ich Volksschule und Gymnasium besuchte. Relativ selten ergab sich da der Bedarf in die Stadt zu fahren, vom gelegentlichen Kinobesuch abgesehen. Erst 1990, als ich mit 16 hochmotiviert begann den jungen Damen in die Tanzschule Elmayer die Aufwartung zu machen, begann ich wöchentlich nach Wien zu fahren. Ich erinnere mich noch, wie ich mich dann immer extra vorher ausgiebig badete, eindüftelte und besonders fesch machte, in der Hoffnung, dass dies und meine Tanzkünste irgendein Mädel begeistern könnten. Bringten tat mir das nichts, außer dass ich zu einem ganz passablen Tänzer wurde.

Im Anschluß an das Gymnasium war die Frage, was ich als nächstes machen würde. Ich hatte eigentlich keine Ahnung, außer, dass mich die Computerei meines Nachbarn Alexander Dworsky faszinierte. Dieser besuchte die 5-jährige EDV-HTL in der Spengergasse, so recherchierte und organisierte mein Vater mir einen Platz in der 2-jährigen Kurzform, genannt Kolleg, wo ich dann 1994 meine Diplomprüfung machte, die mir später die Standesbezeichnung “Ingenieur” einbrachte. Aber während all dieser Zeit und auch noch während meines 2-jährigen Studienversuchs Wirtschaftsinformatik wohnte ich in Klosterneuburg. Eine Stunde hin und her zu fahren machte mich überhaupt nichts aus.

1997 markierte dann den Beginn meiner wohnlichen Unabhängigkeit, als ich mir eine kleine Eigentumswohnung in Simmering kaufte, mit großem Potential, denn ich kaufte mir einen unverbaubaren Blick in den Hyblerpark, eine U-Bahnstation entstand gerade vor der Haustüre und ich konnte meine Wohngestaltungskreativität in dieser Bruchbude völlig ausleben. Obwohl Simmering nun der elfte Wiener Gemeindebezirk ist, war das nicht immer so. Simmering war ein kleiner Ort im Südosten Wiens, der erst 1892 mit der großen Stadt fusionierte. Diese Kleinstadt-Atmosphäre hat sich zum Teil noch erhalten, wovon kleine Greißler und Geschäfte zeugen, auch wenn der politisch rote Kern sich seit jeher mit dem gleichfarbigen Bürgermeister von Wien verbunden fühlte. Simmering ist wohl einer der klassischen Arbeiter-Bezirke von Wien, der tolle BMW vor dem Gemeindebau ist totsicher nur geleased.

Jänner bis September 1998 war Schreiber in der Personalkanzlei der Maria Theresien Kaserne, weil ich dank meiner Maschinenschreibunterrichts in der Spengergasse bei weitem am schnellsten von allen Kammeraden tippen konnte. So war es höchst praktisch zu meiner Wohnung innerhalb von Wien pendeln zu können. Meine Zeit beim Bundesheer zähle ich aber auch zum Landleben, auch wenn ich nur 3 Tage “im Feld” verbrachte.

Mein Bruder ist im Gegensatz zu mir ein wahrer Stadtmensch. Er zog es seit jeher vor, zentral gelegene Mietwohnungen zu seinem Domizil auszuerwählen. Er liebt den Trubel, die Möglichkeiten und das Entertainment. Vielleicht hängt dies auch mit seiner Profession als Opernsänger zusammen, der braucht die Stadt wie ein Fisch das Wasser. Ich als Computer-Ingenieur finde mein fruchtbarstes Betätigungsfeld aber weniger in der großen Stadt, wo es vor konkurrierender EDV-Möchtegern-Futzis nur so wimmelt. Da bin ich lieber im technologischen Ödland weit außerhalb der Grenzen der Stadt. Alles was ich brauche ist eine flotte Internet-Leitung.

So offenbart sich bei näherer Betrachtung, dass ich durchaus auch die Bezeichnung “Landei” verdiene, wenngleich ich meine Landeierei bisher gut mit weltmännischem Gehabe kaschieren konnte.

This entry was posted in Life. Bookmark the permalink.