Heute werden die Änderungen des EU-Vertrages im Parlament beschlossen werden, sehr zum Unmut der üblichen EU-Kritiker, die schon trotzig eine private Volksabstimmung angekündigt haben. Schließlich wollen die Quärulanten, unterstützt von Unterschriften von 0,1% der Bevölkerung (100.000 von 8 Mio), der neuen EU-Stärke trotzen. Eine Aktion, die nichts bringt, ausser vielleicht ein zorniges Echo in diversen hohlen Birnen. Frei nach dem Motto: “Das BZÖ organisiert die Revolution, aber keiner geht hin!”
Aus der Weltgeschichte wissen wir, wie hervorragend eine Verfassung dazu dienen kann, mehrere anfänglich unabhängige Staaten unter einem virtuellen Dach zu vereinen und dass das viele Vorteile bringt. Die amerikanischen Kolonien haben sich zu einer Föderation zusammengeschlossen um nach aussen als grosse Einheit agieren zu können. Das ist auch der große Gedankenfehler, den viele Leute haben, wenn sie einen Staat wie Österreich mit Amerika vergleichen, insbesondere wenn sie mit dem mahnenden Finger auf die dortigen Mißstände verweisen. Österreich ist ein einzelner Staat, aber Amerika sind 50 Staaten. Dass Amerika in Wahrheit auch kein Monolith ist, also aus einem Guss, sieht man daran, dass sich die Gesetze von Bundesstaat zu Bundesstaat doch sehr unterscheiden können. Manche Staaten haben eine Art Mehrwertsteuer (“Sales Tax”), andere wiederum haben noch die Todesstrafe. Tatsächlich kochen in Amerika die Bundesstaaten in vielerlei Hinsicht ihr eigenes Süppchen, nur wenn ein Konzept für alle gelten soll, dann setzt der Amerikaner das Wort “federal” davor. z.B. “Federal Income Tax”, “Federal Bureau of Investiation”, “Federal Offense”.
Doch die amerikanische Verfassung war nicht sofort ausgereift und gültig. Die erste Fassung brauchte 3 Jahre, bis sie von allen Bundesstaaten 1780 ratifiziert werden konnte. Es folgten bisher noch 27 Änderungen der US Verfassung, von denen nur die ersten zehn (“Bill of Rights”) gemeinsam beschlossen wurden. 6 weitere Änderungsversuche scheiterten daran, dass nicht alle Staaten zustimmten. Diese Änderungen erstreckten sich über mehr als 200 Jahre, denn trotz aller Weisheit der Gründerväter, entwickelte sich die Menschheit weiter und forderte Rechte, wie z.B. das Recht auf Religionsfreiheit und Pressefreiheit (1. Änderung 1792), die Abschaffung der Sklaverei (13. Änderung 1865) oder das Wahlrecht für Frauen (19. Änderung 1920). Manche Änderungen wie das Verbot von Alkohol (18. Änderung 1913) wurden auch wieder aufgehoben (21. Änderung 1933). Wenn jetzt schon die ach so demokratisch erleuchteten Amerikaner 200 Jahre brauchen, dass ihre Verfassung halbwegs passt, warum sollte es den Europäer nicht anders gehen?
Logischerweise sollte die EU analog zu den USA “vereinigte Staaten von Europa” heissen, aber vermutlich klingt Juh-Es-III nicht so fesch wie Juh-Ess-Ay. Dann schon besser Iii-Juu, denn wir Europäer haben der USA gegenüber viele Vorteile, der kürzere Namen könnte auch symbolisieren, dass wir schneller zum Punkt kommen. Statt mehrerer Jahrhunderte steht unsere Verfassung schon innerhalb zweier Jahrzehnte in einer vermutlich gar höheren völkerrechtlichen Qualität. Wobei gesagt werden muss, dass 2 europäische Bundesstaaten (Frankreich und Niederlande) die ursprüngliche Verfassung in Volksabstimmungen ablehnten. Doch der neue “Reformvertrag” ist de facto genau das, was fehlt um den EU-Vertrag im Geiste zur europäischen Verfassung werden zu lassen. Der Reformvertrag ist nämlich gar nicht ein eigenständiges Werk, sondern beinhaltet eine Menge an Änderungen für unseren originalen EU-Vertrag von 1992. Aber was klingt besser “EU Vertrag” oder “EU Verfassung”?
Anders als die EU ist die USA durch Separation von Kolonien entstanden, die sich unfair besteuert fühlten und massiven Zustrom von Leuten erhielten, die wirtschaftlich oder religiös auf der Flucht waren. Der gemeinsame Krieg gegen die europäischen Stammländer einte die Amerikaner ausreichend um sich halbwegs zusammenzuraufen. Europa hingegen wurde immer wieder durch kriegerische Auseinandersetzungen, zumeist auch religiös oder wirtschaftlich motiviert, zerrissen. Das Fehlen einer übergeordneten Einigkeit führte auch zu den beiden schlimmsten Kriegen in der Weltgeschichte. Dieses gegenseitige Mißtrauen sahen wir auch noch im EU-Vertrag von 1992, wo nur eine Gegenstimme jegliches größere Vorhaben kippen konnte. Obendrein fehlten die menschlichen Grundrechte. Doch dies wurde nun behoben.
Der neue ARTIKEL 1a des EU-Vertrages lautet:
“Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.”
Religion kommt zwar wieder nicht expliziert vor, aber man sieht sie in den Begriff Pluralismus und Nichtdiskriminierung. Darüber hatte es ja Uneinigkeit gegeben, weil viele Menschen die EU als christliche Gemeinschaft sehen wollen, um damit muslimische Staaten aus der Gemeinschaft für immer auszusperren.
Noch erhebender klingt der neue ARTIKEL 2:
“(1) Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.
(2) Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem – in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität – der freie Personenverkehr gewährleistet ist.
(3) Die Union errichtet einen Binnenmarkt. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt.
Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes.
Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.
Sie wahrt den Reichtum ihrer kulturellen und sprachlichen Vielfalt und sorgt für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas.
(4) Die Union errichtet eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist.
(5) In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen und trägt zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bei. Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, S
icherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.
(6) Die Union verfolgt ihre Ziele mit geeigneten Mitteln entsprechend den Zuständigkeiten, die ihr in den Verträgen übertragen sind.”
Weitere Veränderungen, die sich über 287 Seiten ziehen, modifizieren Dinge wie das Abstimmungsrecht, damit nicht mehr einzelne Staaten die Gemeinschaft in Geiselhaft nehmen können. Es gibt eine neue Grundrecht-Charta, die auch vor dem EU-Gerichtshof einklagbar ist. Und, was insbesondere kleinen Staaten wie Österreich wichtig war, die EU greift nicht mehr in nationales Recht ein, wenn es um lokale Angelegenheiten geht.
In den USA ist die Verfassung knackig und kurz. Kurz genug, dass Schulkinder diese auswendig lernen auf aufsagen können. Neue US-Bürger müssen gar einen Treueeid auf diese Verfassung schwören. Aber vielleicht sind es genau diese Banalitäten, die dazu führen, dass sie die meisten Amerikaner mit ihrer Föderation identifizieren und damit ihren Bund im 20. Jahrhundert so stark gemacht haben. Stark genug, dass es genügend Freiwillige gibt, andere Ländern militärisch zu besetzen. Doch eine Trendumkehr ist absehbar, sollte ein Demokrat im Herbst ins Weisse Haus gewählt werden.
Ich glaube zu sehen, dass die EU aus all diesen Fehlern gelernt hat und an der Dicke des modifizierten EU-Vertrages erkennen wir, dass man kaum einen Aspekt des Lebens in so einer großen Gemeinschaft dem Zufall überlassen möchte. Schlagwörter wie Freiheit, Sicherheit, Solidarität und sozial so häufig im neuen EU-Vertrag zu lesen ist, gibt mir ein gutes Gefühl EU-Bürger zu sein. In meinen Augen ist das “Prinzip USA” die wackelige Generalprobe, für die die EU jetzt die gelungene Premiere liefert.