Vor langer Zeit hatte ich Pistazen als netten und vor allem “interaktiven” Snack entdeckt und kannte nur die Darreichungsform in Schale. Bis eines Tages ein Arbeitskollege mit morgenländischem Einschlag mir von den Vorzügen der Variante ohne Schale erzählte. Im Morgenland gäbe es die Pistazien immer ohne Schale, der wahre Luxus wäre für ihn mit der ganzen in eine Schale voller schalenloser Pistazienkerne zu fahren und die gefüllte Faust schnurstracks einhändig in den Mund zu befördern.
Ich staunte über diese Dekadenz, in unseren Breitengraden völlig unbekannt. Bei uns fehlte es auch an Sklaven, die einem die Entfernung der lästigen Schalen abnahm. Ganz im Gegenteil, in unserem Kulturkreis war sogar eben diese Entschälung zu einer sozialen und auf Parties gesprächsfördernden Kulturtechnik erhoben worden. Abgesehen davon gab es bei uns Pistazien auch nur mit Schale.
Viele Jahre später, als Nebeneffekt des sich verstärkenden Welthandels, erkannte die deutsche Firma Ültje die Marktlücke der nackten Pistazien und bot sie fortan auch diese Form an. Augenscheinlich um einiges teurer als die Variante mit Schalen, weshalb vermutlich die meisten Leute dennoch zur herkömmlichen Option griffen.
Zu unrecht, so fand ich heute heraus. Das Ergebnis meiner Analyse möchte ich Euch nicht vorenthalten.
Die Testkandidaten meiner Analyse waren diese beiden Produkte, welche ich aus dem gleichen Billa-Regal holte.
Ültje (ohne Schale): 125g Packung, EUR 3,45
Lorenz (mit Schale): 175g Packung, EUR 2,39
Mit der Küchenwaage kontrollierte ich die angegeben Gewichtsangaben und soweit ich das mit dem freien Auge beurteilen konnte stimmten diese, bei Lorenz also inklusive Schalen. Dann zählte ich die Anzahl der Pistazienkerne und staunte nicht schlecht.
Ültje (ohne Schale): 269 Stück
Lorenz (mit Schale): 127 Stück + 2 leere Schalen
Daraus errechnet sich ein Stückpreis von 1,3 Cent für Ültje und 1,9 Cent für Lorenz. So betrachtet kostet die Schale einer Pistazie 0,6 Cent. Eigentlich hätte ich erwartet, dass die Entfernung der Schale so viel kostet. So kosteten aber die Pistazien mit Schale MEHR statt WENIGER.
Meine kritische Verlobte zerstörte meine Verschwörungstheorie aber mit einem simplen “Schatz, die Rechnung geht nicht auf. Die in der Schale sind doppelt so groß!” Ich kontrollierte nach, aber mein scharfes Auge maß einen volumetrischen Größenvorteil für Lorenz von maximal 20-30%. Rein mathematisch zahlt man also pro Pistazien-Molekül in etwa wieder das Gleiche und bekommt die Schalen-Moleküle für seinen Kompost geschenkt.
Eine Frage stellte ich mir dann noch, wie es denn mit dem Nährwert ausschaue. Lorenz betonte auf der Verpackung deutlich kein Fett für die Röstung zu verwenden. Die aufgedruckte Nährwerttabelle nannte 25 Gramm als “eine Portion”, entsprechend 53 Lorenz-Pistazien.
Ültje (ohne Schale): 20g Protein, 54g Fett, 16g Kohlenhydrate pro 100g, 631 kcal
Lorenz (sicher auch ohne Schale gemessen): 26g Protein, 50g Fett, 10g Kohlenhydrate, 620 kcal
Die Werbebotschaft “ohne Fett geröstet” ist also genau das: nur Werbung. Warum sonst hat Lorenz, der dies nicht behauptet, pro 100g Kerne 6% mehr Eiweiß, 6% weniger Kohlenhydrate, 4% weniger Fett und dadurch 2% weniger Kilokalorien? Weil die Kerne bei Lorenz aus dem sonnigen Kalifornien kommen?
Der langen Analyse kurzes Fazit ist also eine Gegenfrage als Antwort auf die Frage: Quantitativ oder Qualitativ? Will man wesentlich mehr Pistazien in den Mund bekommen, dann greift man zu Ültje. Will man die manuelle Arbeit und möglichst wenig Pistazien konsumieren nimmt man Lorenz.
Meine Partnerin kauft deswegen immer die Kerne mit Schale, wenn sie aber nicht hinschaut, dann hole ich mir die arabische Dekadenz ins Haus.