Gesprächskultur

Heute in der Früh stellte ich mich ans vordere Ende des Bahnsteigs von Amstetten Fahrtrichtung Wien, während ich auf die Ankunft des Intercity wartete. Da fiel meine Aufmerksamkeit auf eine ältere korpulente Dame, deren Garderobe einen krassen Gegensatz ausdrückte. Sie trug beige-gelbe weite Hosen und auf der oberen Körperhälfte eine knallrote Jacke mit den weissen Initialen FSG. 

Ich erinnerte mich zwar nicht daran, was FSG zu bedeuten hatte, vielleicht Freiwillige Selbst-Geisselung? Aber die Werbeplakate, deren Botschafte ich mich unterschwellig nicht erwehren konnte, hatte ihre Wirkung getan. Irgendwas mit Gewerkschaft, irgenwas mit Sozialistisch, dämmerte es mir. Offenbar war diese ein Gewerkschaftstante auf dem Weg nach Wien um dort ihre Botschaft zu vertreten. Im Gegensatz zu Wachtum-tragenden Zeuginnen, war sie aber auf keinen Fall zu übersehen. Zu überhoren auch nicht, wie wir wenig später merken sollten.

Die ÖBB hat ein bisschen eine Waggon-Knappheit, so passiert es oft, dass die erste Klasse nur ein Großraum-Waggon ist und keine Separés bietet. Und schon gar nicht die besonders luxurios ausgestatteten “Business Class”-Abteile, mit nur 4 Sitzen pro Abteil und gratis Getränk welches durch den Schaffner serviert wird. So auch heute, und dass passte der Gewerkschafterin aber gar nicht.

Eine viertel Stunde lang beschwerte sich die Gewerkschafterin beim ÖBB-Kundendienst via Telefon, was für eine Frechheit das sei, dass der IC keine Business-Abteile hätte. Schließlich hätte sie eine Erste-Klasse-Österreich-Card und Intercitys hätten per Definition eine Business-Klasse aufzuweisen. Das würde im Prospekt so stehen und wenn es nicht so ist, der Kunde es aber laut Prospekt erwartet hätte, dann hätte die ÖBB ein Problem, oder?

Mir gegenüber saß ein italienisch modisch angezogener Typ, mit verwegen pendelnden schwarzen Haaren. Mehrere Male verdrehte dieser die Augen und verzog den Mund, als Gesprächsfetzen zu uns herüberschwappten. Schlußendlich fasste er sich ein Herz, sprang von seinem Sitz auf und konfrontierte die Lärmkanone.

Oder hatte es zumindest vorgehabt. Denn nachdem er die Distanz den Gang entlang zurückgelegt hatte, gab er sein Vorhaben sofort auf, als er die dominante Matrone entdeckte. Ich nehme an, es war der italienische Teil seines Gen-Stranges, der ihm die Einsicht gab, dass es mit älteren dominanteren Frauen nichts zu diskutieren gibt. Die “Mamma Mia” hat immer recht. Eher kleinlaut kehrte er zu seinem Platz auf der anderen Seite des Tisches zurück, auf dem ich meinen Mac positioniert hatte. Hoffentlich hatte keiner der anderen Zuginsassen bemerkt, wie sehr seine Männlichkeit dabei versagt hatte, ein lautes Frauenzimmer abzumahnen. Tja, ich hatte es bemerkt und blogge sogar noch darüber.

Nach langem Gezeter hatte des der Kundendienst-Mitarbeiter wohl geschafft die Gewerkschafterin gütlich zu stimmen. Nachdem er auch aufgehört hatte ihr zu widersprechen fand er doch irgendeine Möglichkeit ihr klarzumachen, dass er ihr Anliegen gerne an die zuständigen Stellen weiterleiden wird. Wahrscheinlich eine Lehre für’s Leben. Kunden soll man nicht widersprechen.

Dann programmierte ich weiter an meinem Reporting-Tool während der Zug seinen Weg gegen Wien fortsetzte. Amüsiert.

Ich musste aufschauen, als ein geschniegelter Business-Typ mit braunen Luxus-Schuhen im hellen Anzug den Gang entlang ging, das Handy fest am Ohr. Redete lautstark etwas über “die Kunden”. Es wurde nicht klar, ob er den Waggon verlassen wollte um niemand anderen hier zu stören, oder ob er einfach nicht wollte, dass wir seine Firmengeheimnisse mitbekommen. Er ging aus dem Großraum-Waggon durch eine durchsichtige Schwingtüre und telefonierte im Bereich direkt hinter der Lokomotive weiter.

Nur dass er sich selbst damit psychologisch austrickste. Durch die verstärkten Fahrtgeräusche hinter der Zugmaschine konnte er sein Gegenüber noch schwerer auf seinem Mini-Billigsdorfer-Nokia, Marke Finanzkrise, verstehen. Dadurch erhob er unbewusst seine eigene Stimme und die Umgebung zu übertönen. Mit dem Effekt, dass wir anderen Zugreisenden ihn von draussen noch viel besser verstehen konnten, als wie er noch innerhalb des Großraum-Waggons war.

Der dritte Telefonist im Bunde, bzw in der Bundes-Bahn, war ein Herr so um die 50, der telefonisch etwas dringendes nachfragen musste. Dabei entschuldigte er sich seinem unsichtbaren Gesprächspartner gegenüber dass er anrufen müsse, weil die Schrift der E-Mails auf seinem Smartphone einfach viel zu klein wäre. Mein erster Gedanke: “oder Deine Augen zu unscharf für so ein winziges Display?” Bös’ ich weiss, aber warum hat der Mann keinen Laptop? Da würde er auch etwas sehen, wenn er etwas liest. Zweiter Gedanke: “vielleicht ist ihm das Kilo zu schwer für den Buckel?” Tschuldigung, aber all der Lärm macht mich ganz wuarlat.

Man ist leider nirgends mehr vor den Telefonaten seiner Mitmenschen sicher, gehört ja sogar am Arbeitsplatz das separierte Büro der Vergangenheit an. Viele Firmen sparen sich ganze Stockwerke an Mietausgaben indem sich mehr Leute in weniger Räume stopfen. Das Muster-Großraum-Büro en vogue ist der Großraum-First-Class-Wagen der ÖBB.

Vielleicht sorgt eine baldige Renaissance der E-Mail für etwas mehr Ruhe im Alltag. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, stöpsle mir die iPhone Kopfhörer in die Ohren und höre etwas Josh Groban.

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