Debattierklub Wien

Die Kunst der Debatte kann erlernt und geübt werden. Es gibt regelmäßige Wettbewerbe und der kleine aber feine Debattierklub Wien beschickt diese Wettbewerbe mit jungen Debattier-Profis. Ich hatte das Vergnügen einem Training dieses Klubs beizuwohnen, ja sogar mitzumachen.

Im Mai 1999, als ich eine Freundin besuchte die zu dieser Zeit in Oxford studierte, hatte konnte ich einer Debatte des weltberühmten Debattier-Klubs Oxford Union beizuwohnen. Die Kunst der Debatte wird dort seit 1823 hochgehalten. 

Im Grunde ist eine Debatte ein formalisiertes Streitgespräch in seiner zivilisiertesten Form. Bei Debatten gibt es immer zwei Seiten, eine für, die andere gegen eine “Motion” die so formuliert ist, als würde die Regierungspartei diese vorschlagen und die Oppositionspartei dagegen sein. An dem besagten Abend in Oxford war das Thema “We move to legalize Marihuana” und die Pro-Seite argumentierte brilliant, warum das eine gute Idee wäre. Die Contra-Seite argumentierte nicht weniger brilliant warum das eine schlechte Idee sei. Als Zuschauer drehte sich mir am Ende der Kopf, weil – wie im wirklichen Leben – meist beide Seiten gültige und einleuchtende Argumente liefern können.

Ich war fasziniert!

Das tolle an Debatten ist, dass man mit rethorischen Untergriffen kaum punkten kann, weil die Gegner diese natürlich auch alle kennen. Beispielsweise der Versuch ein Argument dadurch zu gewinnen, dass man den Gegner als Person zu diskreditiert, das nennt man “ad hominem”. Und genau so etwas bringt bei Debattier-Wettbewerben nichts ausser Minuspunkte bei den Richtern. Wobei nicht eine Seite die Debatte gewinnt, sondern immer ein Team.

Ein Training finden

Ich traf zwei Mitglieder des Wiener Debattierklubs beim Burger-Essen. Mich interessierte sogleich, ob deren Aktivitäten in Wien mit denen der Oxford Union zu vergleichen wären. Und ich erfuhr, dass während der Uni-Ferien im Sommer einmal die Woche ein “Training” stattfinden würde. Ich fand die Website und suchte nach genaueren Infos, wo und wie ich da zuschauen könnte.

Für den Uneingeweihten (bzw. Nicht-Studenten) könnte es kaum schwerer sein den Trainingsort aufzuspüren. Neulingen fehlt schlichtweg die Information welchem Ort in Wien die kryptische Angabe  “WU Wien, TC 4.14” entsprechen soll. 

Der Obmann des Klubs, Mark Etzel, verriet mir die dazugehörige Adresse: Welthandelsplatz 1 in 1020 Wien. Was allerdings auch nur teilweise hilft, da Apple’s Karten App diese neue Adresse noch gar nicht kennt. Der Grund liegt darin, dass die Wirtschaftsuni erst im Oktober 2013 ihren neuen Campus zwischen den U2-Stationen Messe und Kriau in Betrieb genommen hatte. Google Maps war schliesslich mein Retter in der Not.

Mark Etzel vervollständigte die Wegangabe:

TC steht für Teaching Center, das große “Rostgebäude”, das als erstes kommt, wenn du mit der U-Bahn nach Krieau fährst. 4.14 ist einer der Seminarräume im 4. Stock.

Alleine schon wegen dem neuen WU Campus sollte man sich die Location einmal näher ansehen. Auf dem unteren Foto sieht man das rostige Teaching Center hervorgucken. Ja, die Farbe ist absichtlich so und nicht weil das Gebäude so alt wäre.

Rostiges TC schaut vorbei

Die zweite Schwierigkeit bestand daraus, dass zur Zeit auf dem WU Campus ein Science Fiction Film Deus Ex Machina gedreht wird, angeblich mit Sam Neil und 18 Million Dollar schwer. Das hat einerseits den Effekt, dass manche WU-eigene Navigationstafeln durch solche der DXM Universität (?) ersetzt wurden, andererseits, dass Security teilweise Leute gar nicht ins TC Gebäude reinließ. So startete das von mir besuchte Training mit saftiger Verspätung, jenseits des universitär üblichen “cum tempore” (15 min).

Mitten drin statt nur dabei

Während des Jahres machte der Debattierklub eine deutsche und eine englische Trainings-Veranstaltung jede Woche. Während der Ferien praktisch nur englische, weil sie sich auf vorwiegend englisch-sprachige Wettbewerbe vorbereiten.

Ich wäre auch als Zuschauer zufrieden gewesen, aber als ich ins kalte Wasser gestossen wurde, sagte ich auch nicht nein. Mir wurde eine besonders erfahrene Debattiererin zur Seite gestellt, mit der ich zusammen das zweite Oppositionsteam stellte. Gute Themen für Debatten polarisieren meistens und haben viele verschiedene Facetten. Das spannende Thema unserer Debatte war, dass die Regierung fordert alle religiösen Schulen zu verbieten.

In dieser Veranstaltung, nach der BP-Debattier-Struktur, gab es insgesamt 8 Redner in Zweierteams. Die Regierungsseite beginnt mit dem “Prime Minister”, dann kommt der “Opposition Leader” und dann geht es weiter hin und her, abwechselnd zwischen den Seiten, bis jeder einmal rund 7 Minuten gesprochen hat. Am Ende bewerten die Richter die Teams und legt eine Rangfolge der Team fest. Es gewinnt also nie eine ganze Seite, sondern ein Team einer Seite.

Ich selbst war mit einer Partnerin an Rednerpositionen 6 und 8 und wir schafften – obwohl es für mich die erste aktive Debatte war – den Platz 2 von 4. Ich bekam das schöne Kompliment, dass man nicht merkte, dass es für mich das erste Mal gewesen war. 

Selbst bei einer Debatte mitzumachen packt einen natürlich noch viel mehr, als bei einer tollen Debatte zuzuschauen, weil man sich relativ dynamisch auf seine Vor-Redner einstellen muss. So muss man teilweise schauen ob die eigenen vorbereiteten Argumente nicht schon vorgekommen sind, andererseits fallen einem oft noch weitere neue Argumente ein. Und gibt es noch Entkräftungen zu Argumenten der Gegner, die treffsicher platziert werden wollen.

Seminarraum TC 4.14

Grundannahmen

Auch wenn man als Anfänger sich schnell bei solchen Debatten zurechtfindet gibt es doch einige Tips, die ich leider erst bei der anschliessenden Bewertung erfuhr:

  • Die Debatte findet in einer fiktiven Regierung eines fiktiven Landes statt, das “westlich nicht-sekulär” ist. Es ist deswegen wenig zielführend sich auf Österreich oder andere Länder zu beziehen.
  • Jede Behauptung (“claim”) die man macht sollte man untermauern können, weil die Richter sie sonst nicht berücksichtigen
  • Behauptungen der Gegner sollte man ausrechend entkräftigen.
  • Die zweiten Teams von Regierung und Opposition sollten neue Argumente (sogenannte “extensions”) auf den Tisch bringen, sonst hagelt es Abzüge
  • Mitglieder der jeweils gegnerischen Seite können aufstehen um einen Einwurf oder eine Frage zu stellen. Der Sprecher kann das zulassen oder dankend ablehnen. Lässt man es zu ist die Gefahr hoch, dass einen das aus dem – eh schon wackeligen, da spontan zusammengezimmerten – Konzept bringen kann
  • Und das wichtigste: die Wertungsrichter (“judges”) stellen sich unwissend, so wie ein “normaler Mensch auf der Strasse”. Deswegen muss man alles erklären, was man behauptet.

Es gibt mehrere Formen wie so eine Debatte strukturiert sein kann, mir wurden die Deutsche und die British Parliament (BP) Struktur erklärt. Letztere käme hauptsächlich bei englisch-sprachigen Debatten zur Anwendung und stammt – wie der Name suggeriert – aus dem Britischen Parlament. Natürlich sind ausreichende Englischkenntnisse nötig, will man sich bei einer Debatte im BP-Stil verständlich machen. 

Der zweite Haupt-Stil findet sich meist in deutsch-sprachigen Debatten. Dabei zählen Körpersprache und Mimik mehr und die Reihenfolge der Sprecher ist anders. Ausserdem gibt es mehrere Zwischen-Sprecher, die sich dynamisch entscheiden wollen, für welche Seite sie sprechen wollen. Die anwesenden Debattierer waren sich darin einig, dass diese Fertigkeiten auch im BP-Stil helfen.

Fazit

Debattieren macht Spass, auf so vielen Ebenen. Man muss ja nicht gleich zum Ziel haben, bei nationalen oder internationationen Wettbewerben mitzumachen. Wenn die Sprache kein Hindernis ist, dann findet man sich plötzlich mitten drin und vertritt einen Standpunkt mit einer Argumentation, die man sich quasi im Laufen überlegt. Dass dies ein hohes Mass an geistiger Flexibilität erfordert versteht sich von selbst.

Die österreichischen Politiker könnten sich von den Prinzipien der guten Debatte einiges abschauen. Nicht selten sehen wir im TV Angriffe auf die Person und plumpes Zahlen-Verdrehen, wo doch jeder weiss, dass man Zahlen dazu bringen kann alles auszusagen, wenn man sie nur lange genug foltert.

Die Facebook Gruppe des Klubs hat aktuell 168 Mitglieder und ist der Ort, an dem die meiste Kommunikation stattfindet. Der Debattierklub Wien freut sich über neue Mitglieder und ich kann bestätigen, dass das Hineinschnuppern ins Debattieren gleichermassen unkompliziert wie spannend ist… vorausgesetzt man findet den Raum.
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