Im Fahrwasser hinter der ALS Ice Bucket Challenge gehen die Wogen hoch, ebenso wie die Emotionen. Ist dies der größte Schwachsinn aller Zeiten? Oder ein genialer Coup bei dem nun auch andere “gute Zwecke” profitieren?
Ich habe in einem früheren Artikel bereits die Hauptgründe für den Erfolg der viralen Aktion ausgemacht. Nachdem ich nun diverse Reaktionen Nominierter erlebt habe sehe ich diese bestätigt.
Die Idee jemanden vor die Wahl zu stellen “Eis-Guss oder gute Tat” ist nicht neu. Früher gab es schon sogenannte “Cold Water Challenges” oder “Polar Plunges”. Hierbei wurden Freunde auf Social Networks herausgefordert entweder ins eiskalte Wasser zu springen oder für die Krebsforschung zu spenden. Leider manchmal mit tödlichem Ausgang. Bei der aktuellen ALS Ice Bucket Challenge riskiert natürlich niemand sein Leben mehr. Obendrein ist es wesentlich einfacher an einen Kübel mit Eis-Wasser zu kommen, als in unseren Breiten einen zugefrorenen See zu finden.
Es spendet doch keiner!
Die erste Charity, die von der Ice Bucket Challenge profitierte bleibt sogleich der größte Nutzniesser: Die amerikanische nationale ALS Association. Im jüngsten Pressebericht erklären sie, dass die eingegangenen Spenden bis dato 88,5 Millionen US-Dollar ausmachen. Davon alleine in den letzten 7 Tagen atemberaubende 66 Millionen Dollar.
Just one week ago, donations totaled $22.6 million. In just seven days, donations have skyrocketed by an average of $9 million per day, now totaling $88.5 million.
Für jede Person die spendet gibt es vermutlich einige mehr, die sich auf Video mit Eiswasser übergossen haben und 3 oder mehr weitere Personen nominiert haben. Und dies macht das Momentum des Hypes aus. Waren es anfangs noch Prominente die sich für die Publicity der Aktion hergaben, ist es heutzutage hauptsächlich Gruppendruck der die Welle vorantreibt. Jeder möchte gerne Bekannte dabei sehen, wie sich unter dem Eis-Schwall kreischen. Grosses Kino!
Kritiker vermuteten dass wenig Leute tatsächlich spenden würden. Dies führte dazu, dass immer mehr Leute in ihren Videos auch extra betonten, dass sie sehr wohl spenden würden, selbst kalt geduscht.
Das ist doch nur für USA!
Die ALSA selbst war bisher auf die Unterstützung von ALS-Patienten in den USA fokussiert. Aus diesem Grund wandelten die ersten Prominenten, wie etwa Benedikt Cumberbatch, die Challenge dahingehend ab, dass sie für andere ALS-Charities spendeten. Im Falle britischer Prominenter was dies die britische Motor Neuron Disease Association.
Der österreichische Michael Niavarani nannte das hiesige Forum ALS als Nutzniesser seiner Spende. So wurden die Abkürzungen ALS und MND – beide bezeichnen die gleiche Krankheit – auf amüsante Weise in das öffentliche Interesse gerückt. Opfer von ALS haben ja einerseits das Problem dass sie oft nur 3-5 Jahre nach der Diagnose überleben. Andererseits ist die Krankheit so selten, dass die Pharma-Industrie zu wenig Anreiz hat, an einer Heilungsmethode zu forschen.
ALSA verspricht den Gutteil der eingenommenen Spenden in global Forschungsprogramme zu investieren, welche ein neu gegründetes “Board of Trustees” auswählen wird. Dies wird das erste Mal sein, dass ein relevanter Geldbetrag in die ALS Forschung fliesst während “Big Pharma” dem Ganzen den Rücken zukehrt. Wollen wir hoffen, dass dieser Auswahlprozess ethisch zugehen wird.
Die finanzieren Tierversuche!
Es wäre ja zu einfach, wenn ALSA eine strahlend weisse Weste hätte. Baywatch Babe Pamela Anderson fand in den Berichten von ALSA Hinweise auf Tierversuche und liess sich auf ihrer Facebook Page über diese aus. Der Fachausdruck für Tierversuche sind “Experimente am Tiermodell” und ebensolchen sind nach letztem Stand der Wissenschaft keine relevanten Erfolge geglückt. Wenn man bei genetisch veränderten Ratten Löcher in den Schädel bohrt ist wohl einleuchtend, dass sich daraus keine für Menschen relevante Erkenntnisse gewinnen lassen.
Frau Anderson “konnte sich einfach nicht dazu durchringen die Herausforderung anzunehmen” und empfahl ihren Fans stattdessen für Tierrechts-Organisationen zu spenden. So blieb es bei einem kopflosen Foto mit einem wenig eindrucksvollen Schild “Stop Animal Testing!”.
Ja, Tierversuche sind veraltet, ineffektiv und unetisch. Aber man darf nicht das Kinde mit dem Badewasser ausleeren und die gesamte Ice Bucket Challenge verteufeln. Die nützlichste Reaktion – insbesondere für Tierversuchsgegner – wäre, den Spass mitzumachen und ein Eiskübel-Video online zu stellen in dem man seine ehrliche Meinung sagt. Wir meinen, dass uns die Tierschutz-Botschaft mehr beeindruckt hätte, hätte Pamela sich auch mit Eiswasser übergossen.
Einfach nur auf Facebook zu schreiben, dass man dagegen ist, lässt die Aufmerksamkeit, die man ansonsten für 2 Minuten gehabt hätte, ungenutzt verpuffen. Und damit ist schon gar niemandem geholfen. Wir hoffen, dass das internationale Interesse genug Druck auf ALSA ausübt sich bei der Verwendung der Spenden aus dieser Aktion deutlich von Tierversuchen zu distanzieren.
Wasser-Verschwendung!
Sehr wenige Leute haben im realen Leben einen Bezug zu ALS. Aufgrund der Seltenheit der Krankheit kennen die meisten Leute nur Stephen Hawking, welcher zwar schon seit lange mit ALS lebt, aber ein extremer Sonderfall ist. Und warum soll man für etwas spenden, dass einen (und niemand den man kennt) betrifft?
Die ursprüngliche Herausforderung ging ja so: entweder Eis-Wasser oder Spenden. Und von daher ist es ja auch nicht verkehrt, wenn Leute nur spenden. Und genauso legitim für andere gute Zwecke zu spenden. Wenn einem die Wasserversorgung in Afrika ein Anliegen ist, dann ist z.B. Wasser für Afrika eine gute Wahl. Ich persönlich hätte Charity Water bevorzugt.
In einem Video betonte ein sich Übergiessender gar, dass er das Wasser auffangen und im Anschluss daran seine Blumen damit bewässern würde. Die Vermeidung von Wasserverschwendung als Hauptbeweggrund für einen Boykott der Aktion aufzuführen ist dann allerdings schon etwas zynisch. Mein Kühlschrank ist ja auch nicht leer, weil ich Loyalität mit hungernden Kindern in der Sahel-Zone demonstrieren möchte. In Gegenden wo Wasser rationiert werden muss sollte man unnötigen Wasserverbrauch vermeiden, aber in Österreich (und den meisten anderen Ländern) darf man schon mal etwas Wasser vergiessen, wenn es netto einen positives Ergebnis hat.
Ähnlich wie bei den Tierversuchen kann nur derjenige eine Stimme haben, der diese auch nützt, wenn er/sie im Rampenlicht steht. Manche Prominente sammelten Gutpunkte ohne Eis: Charlie Sheen beispielsweise übergoss sich mit den 10.000 Dollar die er spendete. Patrick Steward erhob seine Stimme schweigend.
Ich kann/will/mag nicht!
Und dann gibt es noch eine erstaunlich grosse Anzahl an Leuten, denen solche eine Aktion am Arsch vorbei geht. Ich war selbst etwas blauäugig, als ich meine Nominierungen aussprach und annahm dass sie mit Freude aufgenommen werden würden. Ich suchte mir gezielt drei selbständige Leute aus, die durch ihre beruflichen Aktivitäten auf Facebook auf mich so wirkten, als würden sie gerne ihren Kunden demonstrieren, dass sich auch bei so einem “Spass für den guten Zweck” mitmachen würden. Frei nach dem Motto “tue Gutes und rede darüber”.
Spenden soll ich, wozu? Nur weil alle anderen von der Klippe springen, spring ich doch nicht hinterher! Das geht ja schon gar nicht, dass man bei einem globalen Phänomen mitmacht. Die besten Ideen sind diejenigen, wo man glaubt es wären die eigenen und hier ist die Idee leider offensichtlich von wem anderen. Da ist es leichter entweder gar nichts zu tun, sich auf widrige Umstände auszureden oder sich über den Hype lustig zu machen.
Die effektivste Reaktion – wenn man sich die Schande des Eiswassers ersparen will – ist schlicht und ergreifend für eine beliebige karitative Organisation zu spenden und die Challenge an drei oder mehr Freunde weiter zu geben. Untätigkeit oder Ausreden hinterlassen hier einen unguten Geschmack beim Herausforderer und im Bekanntenkreis.
Verbreite Liebe!
Schon macht eine weitere Challenge die Runde: die Dankbarkeits-Challenge. Wenn man nominiert wird soll man 3 Dinge schreiben für die man dankbar ist und dann viele weitere Personen nominieren, die das gleiche tun. Irgendwie erinnert mich das an die Kettenbriefe aus meiner Jugend, wo mir dann eine grosse Menge Schokolade versprochen wurde, wenn ich der Anleitung im Kettenbrief folge. Die habe ich auch nie gekriegt. Klar, es hilft, wenn man sich in Dankbarkeit übt, aber der einzige Nutzniesser ist hier das Individuum selbst. Man wird vielleicht in sich zufriedener.
Die ALS Ice Bucket Challenge wird sich voraussichtlich in den nächsten paar Wochen erschöpft haben. ALSA spricht bis dato von mehr als 2 Millionen neuen Spendern. Vielleicht kommen sie noch auf 100 Millionen Dollar, aber dann kann es nicht mehr weiter gehen, weil die Welle über den gesamten Globus geschwappt ist. Auch ist es unwahrscheinlich, dass sich so schnell wieder die perfekte Kombination aus Faktoren findet, die dazu geführt haben dass die Aktion viral wurde. Ich glaube kaum, dass sich auch nächstes Jahr wieder Millionen von Menschen mit Eiswasser übergiessen werden. Dann ist das nicht mehr neu und amüsant, weil die 2014er Videos immer noch auf YouTube zu sehen sein werden.
Die wichtigste Frage für die Nachwelt wird sein, ob sich aus dieser Aktion irgendwelche Erkenntnisse ableiten lassen, wie man mehr Menschen dazu bringen könnte einen relevanten Teil ihres Einkommens zu spenden. Gab es irgendwelchen niederen oder höheren Motive an die hier erfolgreich appelliert wurden? Das schlechte Gewissen schon lange nicht mehr gespendet zu haben? Das Lachen der Schadenfreude über den begossenen Pudel? Das Dabeisein alles ist?
Wenn ich nur eines aus dieser Aktion gelernt habe, dann dass man die Gunst der Stunde nützen sollte, wenn man eine Botschaft loswerden will. Von allen meinen Videoprojekten auf YouTube hat noch keines in drei Tagen 300 Views ergattern können. Deswegen freute ich mich am meisten über das Lob eines Freundes, dass er gut fand, dass ich in meinem Beitrag auch erklärte, worum es bei der Aktion geht und was ALS eigentlich ist.
Ich habe 100 Dollar an ALSA gespendet und mir hat es grossen Spass gemacht dieses Video gemeinsam mit einem Freund zu produzieren. Das nenne ich das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.