Michael Moore ist bekannt für seine kritischen Betrachtungen der Probleme seines geliebten Heimatlandes USA. Sein neuester Film Sicko beschäftigt sich mit dem amerikanischen Krankenversicherungsindustrie, der sogenannten “health care industry”.
Dabei ist sein Stil viel weniger aggressiv, als wir von seinen vorangegangenen Werken gewohnt wären. Dadurch gewinnt der Film ein großes Maß an Prägnanz. Vielleicht will keiner der großen Bosse mehr mit Moore reden, weil klar ist, worauf das hinausläuft. Moore suchte daher öffentlich nach Menschen, die sich vom amerikanischen System im Stich gelassen fühlen und griff aus den tausenden Einsendungen die berührendsten Geschichten heraus.
Auch fehlt der Aktionismus, der in der Vergangenheit oft eher die Titel “peinlich” und “sinnlos” verdiente. Die einzige Moore-typische Aktion im ganzen Film ist, dass er mit einer Hand voll im Stich gelassenen 9/11-Rettungsleuten nach Guantanamo in Kuba fährt, weil er erfahren hatte, dass die Insassen dort besser in Sachen Medizin versorgt sind, als die meisten Amerikaner. Doch die Militär-Basis dort verscheucht ihn, worauf er mit den Leuten in ein Spital in Havanna fährt, wo diese prompt und gratis versorgt werden. Peinlich für Mr. Bush.
Diese Kuba-Reise war auch der Grund, weshalb Michael Moore wenige Tage vor den Filmfestspielen in Cannes fürchtete, die US-Regierung würde die Filmrolle von Sicko beschlagnehmen. Abgesehen vom Betreten vom bösen bösen Feindesland, das sich unerwartet hilfreich beweist, erleben wir Moore auch in der Rolle eines großen Kindes, dass mit großen Augen staunend erlebt, wie in Kanada, England und Frankreich ein kostenloses Gesundheitssystem wunderbar funktioniert und niemandem notwendige Hilfe versagt wird.
President Nixon hat anno dazumal das gewinnorientierte System in den USA eingeführt, getarnt als “leistbare Gesundheitsvorsorge für Jedermann” und seit dieser Zeit schreibt die Vielzahl an Gesundheits-Versicherungen massige Gewinne. Das aber nur, weil sie ein Heer von Ärzten beschäftigen, deren einzige Aufgabe ist, Gründe zu finden, teure Zahlungen ablehnen zu können. Gleichzeitig hat sogar schon Ronald Reagan die “sozialistische Medizin” verteufelt, ja sogar eine Schallplatte aufgenommen, auf der er vor den Gefahren des Sozialismus warnt. Diese uns viele andere skurile Informationen veranlassen einen immer und immer wieder den Kopf zu schütteln.
Offenbar läge es im Interesse der Mächtigen, dass die meisten Amerikaner arm, krank und verängstigt gehalten werden, weil sie so besser zu kontrollieren sind. Nicht auszudenken, wenn die Masse beginnen würde ihre Rechte einzufordern, dann hätten sie ja bald Zustände wie in Frankreich.
Dieser Film überzeugt mit Gehalt, gemäßigtem Journalismus, wenig Polemik und vielen interessanten Fakten, die einen als Europäer doch dankbar für unser Gesundheitssystem werden lassen. Auch wenn man sich ansonsten überhaupt nicht für die USA interessiert, dann ist dieser Denkanstoß doch als wertvoll zu bewerten.
Der Film kommt in 9 Tagen in den USA und vermutlich am 12. Oktober in Österreich ins Kino.