Spengergasse, 20 Jahre danach

Meine Familie lebte mehr als 2 Dekaden in der Beindelgasse 10 in Klosterneuburg, einer Reihe von grünen Einfamilienhäusern wo ich das örtliche Bundesrealgymnasium besuchte.

Ich hatte als Jungendlicher keine Ahnung, welchen Beruf ich einmal ergreifen wollen würde. Astronaut schien mir etwas unerreichbar. Ich teilte aber mit einem Nachbarssohn die Leidenschaft für Abenteuerspiele am Computer. Dieser Freund hatte einen Schneider CPC464, mein Vater schaffte wenig später einen Philips MSX Heimcomputer an. Beide waren funktional sehr beschränkt, aber sie übten eine unerhörte Anziehungskraft auf mich aus.

Genau dieser Nachbarsohn ging dann auf die 5-jährige HTL Spengergasse, quasi eine “Computer-Schule”.  Mein Vater fand heraus, dass es auch eine zwei Jahre dauernde Variante gab: das Tageskolleg für EDV und Organisation. Computer als Beruf? Ich war dabei! So wurde ich dort angemeldet.

Tageskolleg für EDV und Organisation

Das Kolleg lieferte gewissermassen die berufsbildende BHS Matura nach, als “HTL Upgrade” für Leute die die allgemeinbildende AHS Matura schon hatten. Dies fand mit 36 Unterrichtsstunden untertags statt, eine berufsbegleitende Abendschule gab es auch, die stattdessen 3 Jahre dauerte.

Das Thema lag mir und so hatte ich keinen übermäßigen Stress im Kolleg, absolvierte die abschließende Diplomprüfung mit gutem Erfolg im Jahre 1994. Mein Diplomprüfungszeugnis trägt das Datum 16. September 1994.

Im Anschluss daran, weiterhin ohne Berufsidee, probierte ich es einige Zeit mit dem Studium der Wirtschaftsinformatik, was ich aber bald aufgab. So absolvierte ich meinen aufgeschobenen Präsenzdienst, wo ich als Schreiber der Personalkanzlei Beförderungs- und Abrüsterzeugnisse produzierte. Zum ersten Male konnte ich eine Fertigkeit, die ich in der Spengergasse erworben hatte, zur Anwendung bringen: das 10-Finger-System.

Ich begann 1998 bei einem Mobilfunker als Systemadministrator zu arbeiten und sammelte 3 Jahre Berufspraxis aufgrund derer ich dann am 12. September 2001 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit die Standesbezeichnung Ingenieur verliehen bekam. Dann war mir wirklich nichts mehr zu schwör…

20 Jahre später

Ein hartnäckiger Kollege schaffte mit grossen Einsatz und langer Recherche die vollständige Liste von 21 Personen zusammenzustellen. Dies war kein leichtes Unterfangen, da sich die Mehrzahl der Kollegen von Facebook fern hält und 6 von 10 Frauen mittlerweile – durch Heirat – einen anderen Nachnamen trugen.

Dabei fällt auf, dass wir mit einer Frauen-Quote von nahezu 50% da schon vor 20 Jahren ganz toll in Punkte Gleichberechtigung dabei waren. Von diesen 21 Menschen fanden sich ein Dutzend am 8.11.2014 im Biergasthof Otto ein.

Es ist spannend zu hören, was die anderen ehemaligen Kollegen in den letzten 2 Jahrzehnten so erlebt haben. Hier eine überschlagmäßige Statistik, basierend auf Stichprobe von 10.

  • Alle haben ein mal geheiratet (ich war als einziger wieder geschieden)
  • Im Durchschnitt haben sie 1,2 Kinder
  • 30% programmieren noch im Beruf
  • 50% haben sich auf die Organisation verlegt, vulgo “Management”.
  • 20% haben Buchhaltung zu ihrem Beruf gemacht
  • 90% sind angestellt, 10% sind selbständig

Wir können auch von Glück reden, dass es bei uns noch keine Todesfälle gab.

Zum Sterben zu viel …

Gemäß Statistik Austria (Daten 2013): in der Gruppe der 40- bis 45-jährigen ist die Sterberate doppelt so hoch wie bei den 30- bis 35-jährigen, nämlich 1,1% bei Männern und 0,6% bei Frauen. Allerdings gesamt… denn bei verheirateten Leuten in dieser Altersgruppe sind es nur 0,6% bei Männern und 0,1% bei Frauen.

Verheiratet zu sein dürfte lebensverlängernd wirkend. Muss ich mir als geschiedener Mann jetzt Sorgen machen? Nein, denn einerseits bin ich ja wieder in einer Beziehung, andererseits lag die Sterberate 2013 bei Männern (40-45) mit Familienstand “geschieden” bei nur 0,2% und Frauen bei 0,1%.

Der langen Rede kurzer Sinn: wären wir 100 Kollegen gewesen hätten wir vermutlich einen Todesfall gehabt. Aber da wir nur 21 waren, hat sich dieses Risiko auf Null abgerundet.

Zum Leben zu wenig?

Wir Absolventen leben alle und hoffentlich noch lange. Weniger Glück hatten manche Firmen denen wir über diese Zeit angehörten. In einem Fall ist die Kollegin bereits seit 20 Jahren bei der gleichen Firma, die aber ziemlich knapp for dem Abgrund steht.

Auf die Frage, ob es wohl Chefs männlichen Geschlechts wären, die immer die Unternehmen in den Ruin treiben, wurde mir – fairerweise – sogleich ein weibliches Gegenbeispiel geliefert. Die Fähigkeit Unternehmen schlecht zu führen ist vom Geschlecht unabhängig.

Mich erschreckte in diesem Zusammenhang die hohe Quote an Kollegen die noch “Abfertigung alt” haben, nämlich fast zwei Drittel! Schlecht geführte Firmen zwingen so ihr altgedientes Personal, bei der Stange zu bleiben. Bei Selbst-Kündigung würden die wertvollen Ansprüche verloren gehen.

Ich selbst hatte ein Umstiegsangebot auf “Abfertigung neu” genützt, welches den grossen Vorteil mit sich brachte, dass ich problemlos die Firma wechseln konnte. Als ich bei meinem letzten Arbeitgeber aufhörte, konnte ich mir den angesparten Abfertigungsanspruch auszahlen lassen.

Danke, gut!

Mir wurde mehrfach die Frage gestellt, ob ich noch zaubern würde. Das musste ich verneinen, weil mein Interesse an Kartentricks vor langer Zeit eingeschlafen war. Es kann aber gut sein, dass ich mal wieder eine Routine einstudiere.

Die zweite Frage war, ob ich noch Vegetarier war. Auch das hatte ich während meiner Ehe aufgegeben. Ich bin jetzt Teilzeit-Vegetarier… ich bereite keine Fleisch selbst zu, aber esse es gelegentlich ausserhalb. Und Fisch.

Man fragt sich natürlich vor so einem Klassentreffen, ob man sich schämen muss, dass man es vielleicht nicht so weit gebracht hat wie die ehemaligen Kollegen. Ich habe kein tolles Manager-Gehalt vorzuweisen, programmiere immer noch gerne und habe keinem Unternehmen ewig die Treue gehalten, sondern selbst eines gegründet. Nur so konnte ich meine Unternehmer-Lust zu befriedigen und das Problem lösen, dass ich spannende und vielfältige Aufgaben brauche um mich nicht zu langweilen.

Aber unzufrieden brauche ich auch nicht sein: Dass ich gerne Software für Apple-Geräte schreibe und darüber blogge wurde zu meinem Programmier-Business Cocoanetics. Mein bald erhältliches Fachbuch setzt dem die Krone auf.  Ich bin ein international bekannter iOS-Entwicklungs-Experte. Ganz ok für 20 Jahre, wenngleich sich das meiste davon erst in den letzten 7 entwickelt hat.

Wo werden wir alle in weiteren 10 Jahren sein? Na hoffentlich weiterhin glücklich, zufrieden und vor allem … am Leben!

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